Phillips künftiger Alltag
Familienzusammenführung im Warmers Stil / Freunde und Verwandte als Begrüßungskomitee
von Uwe Goerlich
COESFELD. Ein bunter Luftballon „Welcome home“ tanzt über den Köpfen der wartenden Jungs. Sie stehen vor dem neuen Haus der Warmers. Über dem Eingang eine selbstgebastelte Tafel „Willkommen zu Hause“. Botschaften, die Phillip Warmers Mut machen sollen. Dass sie ihn erreichen, können die versammelten Verwandten und Freunde nur hoffen. Phillip lebt im Wachkoma, einer unerreichbaren Welt. Und so machen die gut gemeinten Sätze vor allem den betroffenen Angehörigen Mut, den sie ganz dringend brauchen, um den neuen Alltag mit Phillip zu Hause bewältigen zu können.
Es hat zum Glück aufgehört zu regnen, als der schwarze Caddy endlich von der Allee rückwärts auf den Garagenplatz rollt. Am Steuer Christiane Warmers, die ihren Sohn aus dem Pflegeheim in St. Arnold nach Hause geholt hat. Zweieinhalb Jahre seines geretteten Lebens ist Phillip dort betreut und behandelt worden. Über 1000 Mal ist Christiane die 45 km dorthin gefahren, immer beseelt von einem Gedanken: „Ich hole unseren Jungen wieder nach Hause.“ Und heute ist es soweit, mit der letzten Fahrt bringt sie ihren heute 17-Jährigen heim. Sie reißt die Fahrertür auf und wirft die Arme in den wolkenverhangenen Himmel, den sie vor Glück umarmen möchte. „Endlich zu Hause!“, ruft sie den Wartenden mit Freudentränen in den Augen zu und drückt einen nach dem anderen an sich. So wie man unfassbares Glück für immer festhalten möchte, um es nicht mehr zu verlieren. „In Gaupel hatte ich schon so ein kribbelndes Gefühl in der Magengegend“, beschreibt sie ihre Vorfreude.
Auch Phillips Vater ist sichtlich bewegt, als er mit einem tiefgründigen Lächeln zum Heck des Spezial- Caddys eilt. Vorsichtig rollt Berthold Warmers seinen Sohn über die angelegte Rampe auf den Garagenplatz und dann durchs Spalier freudestrahlender Menschen ins neu gebaute Elternhaus Am Weißen Kreuz.
Was durch Phillips weit geöffnete Augen in sein Bewusstsein dringt, bleibt sein Geheimnis. Mutter Christiane kann seine Reaktionen lesen, sagt: „Phillip fühlt sich wohl.“ Der Name der australischen Hard-Rock-Band AC/DC steht goldfarben auf seinem schwarzen Shirt. Ihre erfolgreichste CD „Back in Black“ könnte an diesem besonderen Tag Phillips Motto sein: Zurück in Schwarz!
„Sekt!“ ruft Christiane, als sich schließlich alle im Wohnzimmer um Phillip versammelt haben. „Ziel erreicht!“ Manche streicheln ihn liebevoll, begrüßen ihn.
„Phillip ist heute ganz entspannt und richtig gut drauf.“ – Vater Berthold Warmers
„Schön, dass du wieder da bist!“, sagt einer. „Alles alles Gute!“, wünscht ihm eine Besucherin. Manche schauen etwas verlegen, unsicher. Wie spricht man mit einem Menschen im Wachkoma? Bekommt er überhaupt was mit? Mag er es überhaupt, wenn man ihn streichelt? Berthold Warmers macht Mut. „Phillip ist ganz entspannt, richtig gut drauf.“ Er hat heute einen der besseren Tage, an denen er ganz vorsichtig Löffelchen für Löffelchen schon mal einen Joghurt essen kann. „Da schaust du mich mit deinen großen braunen Augen an“, sagt Berthold, nachdem er Phillips Kopf in eine neue Position gebracht hat. Eine der Nachbarinnen hat einen Nusskuchen gebacken. Verziert ist er mit dem liebevollen Schriftzug „Willkommen zu Hause“. Die gut 30 Gäste naschen bei der Begrüßungsparty ein Stückchen davon. Und Phillip kommt natürlich auch nicht zu kurz, erhält eine pürierte Portion über seine Magensonde. Ein aufwändiges Prozedere, bei dem die Warmers im Alltag von zwei rumänischen Pflegekräften im Schichtdienst unterstützt werden. Schließlich sollen sie ein weitgehend normales Familienleben miteinander führen können, bei dem nicht alle Zeit und Energie für Phillip draufgeht.
„Ich freu mich so für alle, dass wir ihn zurückhaben!“ Antonia Gremm, Großmutter
Christiane kommt an den Tisch, in der Hand einige Karten, Geschenke für Phillip und Süßigkeiten. „Nervennahrung“, sagt sie zu Berthold und setzt sich übermütig auf seine Beine. Beide lachen, strahlen positive Wellen aus, die aus ihrer inneren Mitte zu wirken scheinen. Und all das trotz des unfassbaren Schicksals, das sich wie ein böser Schatten über ihr Leben gelegt hat. Ein glückliches Leben im Unglück? So etwas scheint es tatsächlich zu geben.
Die Großeltern von Phillip sind an diesem wichtigen Tag in seinem Leben natürlich auch gekommen, um ihn in seinem neuen Zuhause zu begrüßen. „Ich freu mich so für alle, dass wir ihn zurückhaben“, sagt Antonia Gremm. Mit ihrem Mann Heinrich hat sie sich mindestens einmal in der Woche auf den Weg gemacht, um ihren Enkel zu besuchen. „Wie oft waren wir gemeinsam in St. Arnold spazieren? Den kannten da mittlerweile fast alle. Da hieß es immer nur Phillip hier, Phillip da“, erinnert er sich an viele Runden.
Steffen hat nach hunderten von Besuchen auch ein Gespür dafür entwickelt, was in seinem Bruder vorgeht. „Am besten ist es, ganz normal mit ihm zu reden“, weiß er. Fest überzeugt ist der 22-Jährige davon, dass Phillip weit mehr mitbekommt, als man bei oberflächlicher Betrachtung meinen könnte. „Das kann man an seinen Gesichtszügen ablesen.“ Er ist froh, dass die Familie nun unter einem Dach vereint ist. „Darauf haben wir alle so sehr hingearbeitet“, denkt er an mühselige Stunden zurück. Steffen ist klar, dass er eine große Verantwortung übernehmen muss, wenn das Zusammenleben funktionieren soll. „Du musst entscheiden, wenn wir mal nicht greifbar sind“, sagt sein Vater. Die Voraussetzungen dafür sind gut, denn Steffen ist ein Mensch mit ausgeprägter sozialer Verantwortung. Er macht gerade eine Ausbildung zum Berufsfeuerwehrmann. Mit in die Wiege gelegt hat es ihm sein Vater Berthold, Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr in Coesfeld. Steffen auf die Frage, warum er sich für diesen Beruf entschieden hat: „Um anderen zu helfen.“
Er und seine Eltern wissen, dass es nun darauf ankommt, zusammenzustehen. „Ich hoffe, dass die Freunde auch weiterhin kommen werden“, sagt Christiane. Sie haben sich den Schalke- Fan Phillip geschnappt, um ihn im S04-designten Rollstuhl in die Natur mitzunehmen, wo Sonnenstrahlen erste blaue Stellen zwischen den Wolken finden.
„Blau und Weiß, wie lieb ich dich!“ Wie oft hat Phillip das Vereinslied vor seinem schrecklichen Unfall im April 2010 mitgesungen. Die letzte Zeile ist auch für ihn Programm: „Tausend Freunde, die zusammenstehen, dann wird der FC Schalke niemals untergehn.“
Phillip fühlt sich im Kreise seiner Freunde im elterlichen Wohnzimmer bei der Begrüßungsparty offenbar wohl. |
Verwandte, Freunde und Nachbarn sind gekommen, um Phillip auch auf süße Weise zu begrüßen. |
Aufmunternde Worte von Vater Berthold zu seinem Sohn Phillip direkt nach dem Eintreffen: „Schau, alle deine Freunde sind gekommen, um dich willkommen zu heißen.“ |
vom 10.08.2013