Tiefe Nacht hat sich über Coesfelds Häuser gelegt, die Stadt schläft. Auch im Zimmer von Björn Mersmann sind nur leise Schlafgeräusche zu hören, als plötzlich eine schrille Folge von hohen Tönen den Schleier der Nacht zerreißt. Mechanisch springt er aus dem Bett, sucht im dunklen Zimmer nach Hose und Hemd und ist bereits zur Tür hinaus, als auf die Tonfolge aus dem kleinen Apparat auf dem Schreibtisch eine Stimme folgt: „Achtung, Einsatz für die Feuerwehr Coesfeld“. Da sitzt er bereits im Auto und drückt aufs Gas.
In Windeseile zum Einsatz
Es ist 2 Uhr. Das Adrenalin, das in Massen in sein Blut schießt, hat die Müdigkeit weggefegt. Schon ist er an der Feuerwache, in Windeseile geht es durch die automatischen Türen in die Fahrzeughalle und auf das Löschgruppenfahrzeug. Der Motor ist schon angelassen.
Eine solche Geschwindigkeit hätte man sich vor 130 Jahren wohl nicht träumen lassen. Es war der 7. Januar 1876, als der erste gewählte Branddirektor in Coesfeld, ein Apotheker mit dem Namen M. Bräutigam dazu aufrief: „dass alle Interessenten, welche gesonnen sind einer Freiwilligen Feuerwehr beizutreten, sich am Sonntag, den 9. des Monats, abends fünf Uhr auf dem hiesigen Rathaussaale sich einzufinden“. Damit war der Grundstein für eine Freiwillige Feuerwehr unter der Oberhoheit der Stadt gelegt. Zuvor gab es bereits die Feuerwehrabteilung des Katholischen Gesellenvereins. Damals waren Ledereimer, Handpumpen und schwere Holzleitern noch die gebräuchliche Ausrüstung zur Feuerbekämpfung.
Das Blaulicht erhellt die Straßen der Stadt. Mersmann sitzt auf einem Atemschutzplatz und beginnt, sich während der Fahrt die Atemschutzausrüstung anzulegen. Der Gruppenführer neben dem Fahrer schaut nach hinten in die Kabine und erteilt erste Befehle. Es herrscht Anspannung.
Ledereimer zur Brandbekämpfung
Vor 130 Jahren kamen die Freiwilligen Helfer meist zu Fuß oder auf Pferdekutschen zur Einsatzstelle. Viele Männer waren nötig, um die schweren Handpumpen ständig mit Löschwasser nachzufüllen. Das Betreten brennender Gebäude zur Menschenrettung war extrem gefährlich. Erst im Jahre 1902 gab es die erste mechanische Leiter.
Das Löschfahrzeug ist an der Einsatzstelle eingetroffen. Von außen ist an dem Fabrikgebäude nichts zu sehen. Der Gruppenführer steigt ab um die Lage zu erkunden. Die hauptberuflichen Kräfte sind bereits vorher mit dem Tanklöschfahrzeug eingetroffen. Man bespricht sich. Mersmann geht im Kopf nun alle möglichen Szenarien und Handgriffe durch, die er auf den vielen Lehrgängen und Dienstabenden gelernt hat.
130 Jahre zuvor sah das anders aus. Die Ausbildung beschränkte sich auf die Einweisung in die Handpumpen und die Anweisung, einen „tüchtigen Ledereimer“ zu Hause zu haben. Die Leitern wurden praktischerweise von einem Turnverein bedient. 1928 gab es in Coesfeld die erste elektrische Sirene. 1934 folgte die erste Motorspritze. Eine Revolution für die Brandbekämpfung. Hinzu kamen immer mehr anderweitige Aufgaben für die Feuerwehr, wie technische Hilfe bei Verkehrsunfällen, Sicherungsmaßnahmen und Umweltschutz.
„Fehlalarm“, verkündet der Gruppenführer seiner Mannschaft. „Ein technischer Defekt in der Brandmeldeanlage.“. Es geht heimwärts.
Noch drei Stunden Schlaf
„Jetzt kann ich noch drei Stunden schlafen“, sagt Mersmann. „Es ist schon traurig, dass auch heute noch viele Menschen gar nicht wissen, dass wir diesen Job komplett unentgeltlich und freiwillig machen. Neben unseren normalen Berufen. Einfach nur so.
Am Tag der offenen Tür am 17. Juni sind alle Bürger eingeladen, Björn Mersmann und seinen Kameraden über die Schulter zu schauen.
Unterstützung bei einem Unfall: Feuerwehr beim Herausziehen eines Autos aus dem Fluss. |
Vor 130 Jahren kaum vorstellbar: Eine Atemschutzausrüstung, wie sie diese Feuerwehrleute bei einer Übung tragen. |